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INTRODUCTION ET ALLEGRO XXVI
Gerhard van der Grinten

Der Spiegel vermehrt einmal und negiert einmal die Bedeutung der Dinge. Nicht alles, was über dem Spiegel Bedeutung zu haben scheint,hat Bestand, wenn es gespiegelt ist. Italo Calvino

Alle Bilder stammen von Bildern. Alles zunächst einmal von der Wirklichkeit. Denn sich ein Bild machen, hieße doch stets, es der Wirklichkeit entlehnen, den Seherfahrungen der umgebenden Welt, den Seherfahrungen der eigenen Biographie. Des Aufwuchses, der Landschaft, der Witterung, den Ordnungsrichtungen der Schrift nach, deren Ortung der eigene Kulturkreis sich je angewöhnt hat. Das mag dann imitieren. Oder abstrahierend verkürzen. In jedem Fall ist es Aneignung, handgreifliche Verfügung gewinnen. Frei machen von dem, was man gesehen hat, kann sich niemand. Und ganz egal, welche Bilder man daraus gewinnt, dieser unstoffliche Hintergrund ist immer da. Wo es sich dabei zudem um eine Bildsprache handelt, eine Ikonographie der Dinge und ihrer Bedeutungen, ist sie mitteilsam für andere, die jeweils ihre Anspielungen und Konnotationen zu deuten vermöchten. Ja die angespielte Bedeutung vermag selbst wieder ganze Assoziationsketten freizusetzen. Und so ist das eine Bild nie nur für sich, sondern immer auch für all die anderen Bilder, die ihm voraus und zur Seite gegangen sind.

Die ganze Kunstgeschichte wimmelt nur so von Adaptionen, denn jede neue Bilderrungenschaft reicherte ja auch das Ganze übrige an. Zumal im Rückverweis, wenn man denn das Gewohnte nun ganz anders machte. Und wer künstlerisch zu sehen gelernt hat, dem fallen die Bezüge zu. Freiheit davon wäre nicht, borniert die Augen zu verschließen, sondern ganz im Gegenteil die Möglichkeiten, die das einmal Form genommene bietet, weiterzuspinnen. Sie sind ohnehin unendlich.

Die Verfügbarkeit der Bilder aber, angefangen mit der Option kostengünstiger und ergiebiger Abbildungen auf der einen Seite und der Erfindung der Photographie auf der anderen, hat dem Prinzip des Collagierens im XIX. Jahrhundert erst richtigen Auftrieb gegeben. Schließlich: wer, sagen wir einmal, eine echte mittelalterliche Buchmalerei zum Zwecke der Collage zerschnitte, wäre kein Künstler, sondern ein gemeingefährlicher Barbar. Das Bild, das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit aber ist viel entgrenzter, örtlich, zeitlich, kulturell, als in all jenen Genrationen zuvor. Gar nicht zu reden von den Möglichkeiten der Digitalisierung und Versendung, die praktisch alles stets und allerorten greifbar machen. Und auf der anderen Seite jede Menge Unschärfen produzieren, Missverständnisse, Trivialisierungen, geschmackliche Entgleisungen.

Dass Klaus Fabricius, der neben seiner genuin künstlerischen Tätigkeit auf eine lange profunde Arbeitsbiographie in der Vermittlung, der Präsentation, dem Ausstellungswesen von Kunst zurückblicken kann, die Bilder in den Bildern sieht, mag darum nicht verwundern. Er tut es mit Finesse. Und einer artistischen Dignität, die ihresgleichen sucht. Und mit zuweilen ganz abgründigen Humor. Man kann sagen, er legt sich auf die Lauer, photographiert, was er sieht, höchst aufmerksam, flaniert auch anderwärts, konterfeit auf der anderen Seite wiederum Bilder von Bildschirmen ab, aus Fernsehsendungen und Filmen. Als Still vom bewegten Bild. Arrangiert und überblendet, verformt die Übertragungsformate ins Überschmale. Rückt durch der veränderten Ausschnitt näher oder ungreifbarer fort. Sättigt und entsättigt Farbe gibt den Frauen etwa, die ein bestimmter Kulturkreis zu gerne zu verhüllter Verfügbarkeit degradiert, einen unbarmherzig blattgoldenen Blick, geprinteten Blumenphotos die ganze Delikatesse der Stillleben eines Chardin oder Fantin-Latour. Das sind Mädchenportrait von geradezu schamloser Romantik, und Frauen sind ein bevorzugtes Sujet. Um gleich darauf die Künstlichkeit vieler Frauenbilder gnadenlos als Androiden zu decouvrieren. In seiner Haltung ist das zutiefst humanistisch. Auch in der teils harschen Schärfe der Kritik an den obwaltenden gesellschaftlichen Zuständen. Und manch eine Szene kriecht einem ob der drangvollen bedrohenden Gewalt, die sich darin enthüllt findet, unter die Haut.

Die technischen Behufe, ob es sich nun um eine tatsächliche Collage verschiedener Elemente und Materialien handelt, oder um solche, die auf dem Weg der digitalen Verfremdung von Photographien entstanden sind, sind überaus beherrscht. Auch wenn er dies immer wieder mit der allergrößten Nonchalance überspielt. Wie hoch aber der artistische Blick entwickelt ist, verraten die Photographien, die auf alle nachträgliche Zutat verzichten. Schließlich haben die Trägerstoffe eine Bedeutung, Folien, Aluminium- und Stoffprints, manche liefern geradezu eine malerische Anmutung, andere die funkelnde Glätte metallener Unnahbarkeit.

Immer aber sind die Bilder mehr, als sie scheinen, mehr auch, als sie zeigen. Man kann die Dinge deutlicher machen, wenn man sie dekonstruiert und kenntlicher wieder zusammensetzt. Aber das muss man wirklich können. So wie er.